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„Saum-Seligkeit“ beim Waldbegang in der Ökomodellregion

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Waldsäume als Übergangsbereiche zwischen Wald und offener Landschaft zeigen oft wie Seismographen den Zustand des dahinter liegenden Wirtschaftswaldes und erfüllen wichtige Aufgaben für Biodiversität, Wasserhaushalt und Sturmschutz. Ihre Bedeutung als „Dienstleister für die Landschaftsökologie“ wird stark unterschätzt: Diese Erkenntnis nahmen die Teilnehmer des Waldbegangs mit, zu dem die Ökomodellregion Waginger See – Rupertiwinkel nach Wonneberg eingeladen hatte.

Förster Max Poschner erklärt die Schichtung des Waldsaums, Bild von Leonhard Straßer, Ökomodellregion. 

Was Waldbauer Gottfried Reiter bei der fast dreistündigen Begehung vor dreißig Waldbesitzern und Interessenten vorstellte, konnte sich sehen lassen: Von der blühenden Krautschicht über die artenreiche Strauchschicht bis zu den vielfältigen Lichtbaumarten in der Oberschicht ist seine Hecke strukturiert wie in einem Lehrbuch. Nicht nur dem Auge hat sein abgestufter Waldrand mit blühenden Vogel- und Traubenkirschen, Wildbirne und Wildapfel viel zu bieten: Er ist Nahrungs- und Brutraum für eine Fülle von Wildbienen, Schmetterlingen, Vögeln und Kleinsäugern. Der Saum liefert dem Wald Eicheln und andere Samen für die Waldverjüngung und erhöht somit den Artenreichtum. Er stabilisiert den Waldrand durch seine abgestufte Struktur bei Wind und Sturm und baut mit den vielen Laubbäumen Speicherhumus auf, unentbehrlich für einen stabilen Wasserhaushalt. Ein artenreicher, gestufter Waldrand, eine reich strukturierte Hecke mit hoher Biodiversität entwickeln sich allerdings nicht ganz von selbst: Sie müssen vom Menschen geschaffen und auf Dauer gepflegt werden.

Waldbauer Gottfried Reiter (5. v. li) hat den Saum lehrbildhaft vor Jahren angelegt, Bild von Leonhard Straßer, Ökomodellregion. 

Den Waldsaum hat Reiter selbst angelegt: „Die wichtigsten zehn Lichtbaumarten habe ich angepflanzt, darunter auch heimisches Wildobst. Schattenbäume wie Tanne und Fichte hab ich regelmäßig bei der Pflege herausgenommen, damit sich die vielfältige Strauchschicht durch Samenanflug oder Verbreitung über Tiere fast von allein entwickeln konnte“, so Reiter, der dieses Vorgehen inzwischen auch auf weitere Waldsäume übertragen hat. Für ihn hat seine Hecke noch einen weiteren Nutzen: „Rehe halten sich viel lieber in diesen Übergangsbereichen auf als im Wald, hier haben sie mehr Deckung und ein breiteres Nahrungsangebot, das schützt den Wald vor Verbiss“, so Reiter.

Begeistert war auch Förster Max Poschner, der die Begehung leitete und die zahlreichen heimischen Baum-und Straucharten mit ihren botanischen und waldbaulichen Besonderheiten vorstellte. „Im Wald gibt es nirgends so viele Arten wie an diesem vielfältigen Saum. Hier finden wir eine genetische Vielfalt, die wir für später sichern müssen“, so Poschner.

Auch Carsten Voigt vom Landschaftspflegeverband betonte den Wert natürlicher Waldsäume als Lebensraum und verwies auf Fördermöglichkeiten über die Landschaftspflegerichtlinien, die teilweise höher seien als waldbauliche Förderprogramme. Warum trotz aller Vorteile diese wertvollen Übergangsbereiche zwischen Wald und landwirtschaftlich genutzter Fläche häufig komplett fehlen und stattdessen oft hohe Fichtenreihen den abrupten Übergang zum Feldrand bilden, war den meisten Teilnehmern in der regen Diskussion schnell klar: Während eine Hecke, die frei in der Landschaft angelegt wird, keinen Verlust in der landwirtschaftlichen Förderung pro Fläche zur Folge hat, gilt ein neu angelegter Waldsaum am Waldrand als Erstaufforstung, somit als forstliche Nutzung, und bedeutet für die Waldbauern den Wegfall der landwirtschaftlichen Förderprämie und finanzielle Einbußen.

„Der Wert eines naturnahen Waldes bzw. Waldsaums als Dienstleister für das Ökosystem wird leider stark unterschätzt. Das wird in unserem Fördersystem deutlich“, so Förster Poschner. Er verwies auf Lösungsmöglichkeiten trotz dieses Förderdilemmas: Das Anlegen eines Waldsaums bietet sich als Ausgleich für eine landwirtschaftliche Baumaßnahme an, oder wenn Ökopunkte benötigt werden. Sollte keine Entwicklung nach außen, in die Feldflur, möglich sein, empfiehlt er eine „Entwicklung des Saums nach innen“ – stark beschattende Baumarten werden am Waldrand herausgenommen, Lichtbaumarten gefördert und so der fehlende Saumbereich auf bestehender Waldfläche geschaffen. „Die positiven Wirkungen eines vielfältigen Saumbereichs, der z.B. an sturmgeschädigten Randstellen angelegt werden kann, können Einbußen beim Holzzuwachs der Wirtschaftsbaumarten, die vorher bis zum Waldrand reichten, in vieler Hinsicht ausgleichen“, so Poschner.

Danach führte er die Teilnehmer tiefer in einen Wald, in eine extrem erosionsgefährdete steile Schlucht mit stark rutschgefährdeten geologischen Schichten über einem Tobel. Dort ist eine stabile gemischte Waldbestockung aus Laub- und Nadelbäumen unverzichtbar. Bäume dürfen nur einzelstamm- oder gruppenweise entnommen werden. Es entsteht ein Wald mit allen Alters- und Stärkeklassen auf engem Raum. Nach einem Kahlschlag könnte die ganze Schlucht ins Rutschen kommen, weil die Wurzeln der Waldbäume den Boden nicht mehr stabilisieren und der Regen nicht mehr in den Baumkronen gebremst wird.

Leonhard Straßer als Sprecher der Arbeitsgruppe „Streuobst und Artenschutz“ in der Ökomodellregion war Initiator des Waldbegangs und erinnerte an die Bedeutung seltener Laubholzarten wie z.B. Linden, Ahorn, Erlen oder Ebereschen im naturnahen Mischwald: „Früher haben wir gedacht, diese Baumarten nähmen uns Platz weg für die gewinnträchtigen Holzarten. Heute wissen wir, dass seltene Laubbäume die Regenwurmdichte im Waldboden entscheidend erhöhen. Mit einem hohen Regenwurmbesatz kann der Waldboden genügend Humus aufbauen und ist somit ein bedeutender Wasserspeicher für extreme Ereignisse wie Dürre oder Starkregen.“ Ein naturnaher Waldsaum diene als „Stützpunkt“ für das Einwandern dieser stabilisierenden Arten in den Wald, so Strasser, er sei deshalb eine Klima- und Erosionsschutzmaßnahme und unerlässlich an erosionsgefährdeten Standorten wie im Hanglagenwald oberhalb der Wonneberger Tobel. 

Begonnen hatte der Waldbegang mit einem Exkurs zu technischen Wasserrückhaltemaßnahmen in Enzersdorf, die Franz Knogler von der BBV-Landsiedlung und Ursula Mesch vom Amt für ländliche Entwicklung vorstellten. Mehrere Becken auf Gemeindegrund fangen neben Drainagenwasser Oberflächenwasser am Hang auf, entziehen eingetragene Nährstoffe, v.a. Phosphor, durch Verrieselung und schützen die Gräben unterhalb vor starker Erosion. Sie seien ein Beitrag zum Erreichen der Ziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, so Knogler. Eine Flurneuordnung biete inzwischen oft auch die Möglichkeit, ökologische Ziele „nebenbei“ mit umzusetzen. In der Diskussion wünschte sich Gottfried Reiter hier einen Mitanschluss von weiteren 6-7 ha Ackerland an die Auffangbecken.

Muss der Mensch Ökosystemleistungen durch Technik ergänzen und ersetzen, dann kostet das viel Geld. Naturnah angelegte Wasserrückhaltebecken in Enzersdorf, Bild von Leonhard Straßer, Ökomodellregion. 

Nährstoffe auffangen, vor Starkregenereignissen schützen, Wasser vor dem Abfluss speichern – die gleichen Ziele streben wir durch einen naturnahen Waldaufbau mit vielfältiger Saumstruktur an“, so Förster Poschner, „und diese kostenlosen Ökosystemleistungen des Waldes sollten viel mehr wertgeschätzt werden“. „Wenn jeder Waldbesitzer bei sich wenigstens an einem Eck einen geeigneten Saum anlegt, ist schon viel gewonnen“, ermutigte Reiter die begeisterten Waldbauern zur Nachahmung.

Ein Bericht von Hans Eder (Südostbayerische Rundschau und Traunsteiner Tagblatt vom 06.06.2019).

Eingangsbild: Leonhard Straßer, Max Poschner, Hans Praxenthaler und Klaus Thiele vom Ökologischen Jagdverein wiesen auf die zentrale Bedeutung hin, die eine intensive Bejagung der Rehe für angepasste Wildbestände und somit für einen naturnahen Waldaufbau und artenreiche Hecken hat., Bild von Ökomodellregion.

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