„Saum-Seligkeit“ beim Waldbegang in der Ökomodellregion

Waldsäume als Übergangsbereiche zwischen Wald und offener Landschaft zeigen oft wie Seismographen den Zustand des dahinter liegenden Wirtschaftswaldes und erfüllen wichtige Aufgaben für Biodiversität, Wasserhaushalt und Sturmschutz. Ihre Bedeutung als „Dienstleister für die Landschaftsökologie“ wird stark unterschätzt: Diese Erkenntnis nahmen die Teilnehmer des Waldbegangs mit, zu dem die Ökomodellregion Waginger See – Rupertiwinkel nach Wonneberg eingeladen hatte.

Förster Max Poschner erklärt die Schichtung des Waldsaums, Bild von Leonhard Straßer, Ökomodellregion. 

Was Waldbauer Gottfried Reiter bei der fast dreistündigen Begehung vor dreißig Waldbesitzern und Interessenten vorstellte, konnte sich sehen lassen: Von der blühenden Krautschicht über die artenreiche Strauchschicht bis zu den vielfältigen Lichtbaumarten in der Oberschicht ist seine Hecke strukturiert wie in einem Lehrbuch. Nicht nur dem Auge hat sein abgestufter Waldrand mit blühenden Vogel- und Traubenkirschen, Wildbirne und Wildapfel viel zu bieten: Er ist Nahrungs- und Brutraum für eine Fülle von Wildbienen, Schmetterlingen, Vögeln und Kleinsäugern. Der Saum liefert dem Wald Eicheln und andere Samen für die Waldverjüngung und erhöht somit den Artenreichtum. Er stabilisiert den Waldrand durch seine abgestufte Struktur bei Wind und Sturm und baut mit den vielen Laubbäumen Speicherhumus auf, unentbehrlich für einen stabilen Wasserhaushalt. Ein artenreicher, gestufter Waldrand, eine reich strukturierte Hecke mit hoher Biodiversität entwickeln sich allerdings nicht ganz von selbst: Sie müssen vom Menschen geschaffen und auf Dauer gepflegt werden.

Waldbauer Gottfried Reiter (5. v. li) hat den Saum lehrbildhaft vor Jahren angelegt, Bild von Leonhard Straßer, Ökomodellregion. 

Den Waldsaum hat Reiter selbst angelegt: „Die wichtigsten zehn Lichtbaumarten habe ich angepflanzt, darunter auch heimisches Wildobst. Schattenbäume wie Tanne und Fichte hab ich regelmäßig bei der Pflege herausgenommen, damit sich die vielfältige Strauchschicht durch Samenanflug oder Verbreitung über Tiere fast von allein entwickeln konnte“, so Reiter, der dieses Vorgehen inzwischen auch auf weitere Waldsäume übertragen hat. Für ihn hat seine Hecke noch einen weiteren Nutzen: „Rehe halten sich viel lieber in diesen Übergangsbereichen auf als im Wald, hier haben sie mehr Deckung und ein breiteres Nahrungsangebot, das schützt den Wald vor Verbiss“, so Reiter.

Begeistert war auch Förster Max Poschner, der die Begehung leitete und die zahlreichen heimischen Baum-und Straucharten mit ihren botanischen und waldbaulichen Besonderheiten vorstellte. „Im Wald gibt es nirgends so viele Arten wie an diesem vielfältigen Saum. Hier finden wir eine genetische Vielfalt, die wir für später sichern müssen“, so Poschner.

Auch Carsten Voigt vom Landschaftspflegeverband betonte den Wert natürlicher Waldsäume als Lebensraum und verwies auf Fördermöglichkeiten über die Landschaftspflegerichtlinien, die teilweise höher seien als waldbauliche Förderprogramme. Warum trotz aller Vorteile diese wertvollen Übergangsbereiche zwischen Wald und landwirtschaftlich genutzter Fläche häufig komplett fehlen und stattdessen oft hohe Fichtenreihen den abrupten Übergang zum Feldrand bilden, war den meisten Teilnehmern in der regen Diskussion schnell klar: Während eine Hecke, die frei in der Landschaft angelegt wird, keinen Verlust in der landwirtschaftlichen Förderung pro Fläche zur Folge hat, gilt ein neu angelegter Waldsaum am Waldrand als Erstaufforstung, somit als forstliche Nutzung, und bedeutet für die Waldbauern den Wegfall der landwirtschaftlichen Förderprämie und finanzielle Einbußen.

„Der Wert eines naturnahen Waldes bzw. Waldsaums als Dienstleister für das Ökosystem wird leider stark unterschätzt. Das wird in unserem Fördersystem deutlich“, so Förster Poschner. Er verwies auf Lösungsmöglichkeiten trotz dieses Förderdilemmas: Das Anlegen eines Waldsaums bietet sich als Ausgleich für eine landwirtschaftliche Baumaßnahme an, oder wenn Ökopunkte benötigt werden. Sollte keine Entwicklung nach außen, in die Feldflur, möglich sein, empfiehlt er eine „Entwicklung des Saums nach innen“ – stark beschattende Baumarten werden am Waldrand herausgenommen, Lichtbaumarten gefördert und so der fehlende Saumbereich auf bestehender Waldfläche geschaffen. „Die positiven Wirkungen eines vielfältigen Saumbereichs, der z.B. an sturmgeschädigten Randstellen angelegt werden kann, können Einbußen beim Holzzuwachs der Wirtschaftsbaumarten, die vorher bis zum Waldrand reichten, in vieler Hinsicht ausgleichen“, so Poschner.

Danach führte er die Teilnehmer tiefer in einen Wald, in eine extrem erosionsgefährdete steile Schlucht mit stark rutschgefährdeten geologischen Schichten über einem Tobel. Dort ist eine stabile gemischte Waldbestockung aus Laub- und Nadelbäumen unverzichtbar. Bäume dürfen nur einzelstamm- oder gruppenweise entnommen werden. Es entsteht ein Wald mit allen Alters- und Stärkeklassen auf engem Raum. Nach einem Kahlschlag könnte die ganze Schlucht ins Rutschen kommen, weil die Wurzeln der Waldbäume den Boden nicht mehr stabilisieren und der Regen nicht mehr in den Baumkronen gebremst wird.

Leonhard Straßer als Sprecher der Arbeitsgruppe „Streuobst und Artenschutz“ in der Ökomodellregion war Initiator des Waldbegangs und erinnerte an die Bedeutung seltener Laubholzarten wie z.B. Linden, Ahorn, Erlen oder Ebereschen im naturnahen Mischwald: „Früher haben wir gedacht, diese Baumarten nähmen uns Platz weg für die gewinnträchtigen Holzarten. Heute wissen wir, dass seltene Laubbäume die Regenwurmdichte im Waldboden entscheidend erhöhen. Mit einem hohen Regenwurmbesatz kann der Waldboden genügend Humus aufbauen und ist somit ein bedeutender Wasserspeicher für extreme Ereignisse wie Dürre oder Starkregen.“ Ein naturnaher Waldsaum diene als „Stützpunkt“ für das Einwandern dieser stabilisierenden Arten in den Wald, so Strasser, er sei deshalb eine Klima- und Erosionsschutzmaßnahme und unerlässlich an erosionsgefährdeten Standorten wie im Hanglagenwald oberhalb der Wonneberger Tobel. 

Begonnen hatte der Waldbegang mit einem Exkurs zu technischen Wasserrückhaltemaßnahmen in Enzersdorf, die Franz Knogler von der BBV-Landsiedlung und Ursula Mesch vom Amt für ländliche Entwicklung vorstellten. Mehrere Becken auf Gemeindegrund fangen neben Drainagenwasser Oberflächenwasser am Hang auf, entziehen eingetragene Nährstoffe, v.a. Phosphor, durch Verrieselung und schützen die Gräben unterhalb vor starker Erosion. Sie seien ein Beitrag zum Erreichen der Ziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, so Knogler. Eine Flurneuordnung biete inzwischen oft auch die Möglichkeit, ökologische Ziele „nebenbei“ mit umzusetzen. In der Diskussion wünschte sich Gottfried Reiter hier einen Mitanschluss von weiteren 6-7 ha Ackerland an die Auffangbecken.

Muss der Mensch Ökosystemleistungen durch Technik ergänzen und ersetzen, dann kostet das viel Geld. Naturnah angelegte Wasserrückhaltebecken in Enzersdorf, Bild von Leonhard Straßer, Ökomodellregion. 

Nährstoffe auffangen, vor Starkregenereignissen schützen, Wasser vor dem Abfluss speichern – die gleichen Ziele streben wir durch einen naturnahen Waldaufbau mit vielfältiger Saumstruktur an“, so Förster Poschner, „und diese kostenlosen Ökosystemleistungen des Waldes sollten viel mehr wertgeschätzt werden“. „Wenn jeder Waldbesitzer bei sich wenigstens an einem Eck einen geeigneten Saum anlegt, ist schon viel gewonnen“, ermutigte Reiter die begeisterten Waldbauern zur Nachahmung.

Ein Bericht von Hans Eder (Südostbayerische Rundschau und Traunsteiner Tagblatt vom 06.06.2019).

Eingangsbild: Leonhard Straßer, Max Poschner, Hans Praxenthaler und Klaus Thiele vom Ökologischen Jagdverein wiesen auf die zentrale Bedeutung hin, die eine intensive Bejagung der Rehe für angepasste Wildbestände und somit für einen naturnahen Waldaufbau und artenreiche Hecken hat., Bild von Ökomodellregion.

Ein Wald für den Klimawandel, dank des Regenwurms

Einer der wichtigsten Faktoren, um dem Klimawandel zu begegnen, sei der Boden, sagte der Sprecher des Agrarbündnisses TS/BGL, Leonhard Strasser, zur Begrüßung zu einem Vortrag des Försters Ludwig Pertl im Gasthaus Gruber in Weibhausen. Zusammen mit dem Agrarbündnis hatten die Ökomodellregion Wagingersee-Rupertiwinkel und die Leader LAG Traun-Alz-Salzach, ein Förderprogramm der EU und des Freistaates Bayern, zu dieser Veranstaltung eingeladen.

Diese Veranstaltung sei die dritte in einer Reihe, mit der Besucher auf die Wichtigkeit der Bodenbeschaffenheit aufmerksam gemacht werden sollen, sagte Strasser. Eine besondere Rolle, um dem Boden die nötige Widerstandsfähigkeit in Zeiten des Klimawandels zu geben, komme dem Regenwurm zu. Schon Charles Darwin habe den Regenwurm als eines der bedeutungsvollsten Tiere dieser Erde bezeichnet, zitierte Strasser bei seiner Begrüßung des Referenten und der Zuhörer und Diskutanten im fast voll besetzten Saal des Gasthauses.

Regenwürmer graben ein komplexes Tunnelsystem, das optimale Voraussetzungen für Durchwurzelung, Belüftung und Entwässerung des Bodens biete. Um im Wald einen guten Regenwurmbestand zu erreichen, bedürfe es aber der richtigen Mischung von Baumarten. Ein Wort der Warnung ließ Strasser hinsichtlich der Wirkung des Pflanzengiftes Glyphosat hören. Eine Studie der BOKU (Universität für Bodenkultur) Wien, habe gezeigt, die Reproduktionsrate der vertikal grabenden Würmer (Lumbricus terrestris) sei innerhalb weniger Wochen, nach Ausbringung des Herbizids, um 85% gesunken. Zugleich seien, durch die schlagartige Bewuchsabtötung der Nitratgehalt des Bodens um 1600% (!) und der Phosphatgehalt um 125% gestiegen, mit entsprechenden Folgen hinsichtlich der Auswaschung in Grundwasser und Flüsse.


Hartl Straßer, Sprecher des Arbeitskreises „Streuobst und Artenschutz“ in der Ökomodellregion, sowie Ludwig Pertl, Förster und Wissenschaftler im Projekt „Links4soils“, Bild von Alois Albrecht.

Förster Pertl begann mit der Feststellung, der Klimawandel im Alpenraum schreite fast doppelt so schnell voran wie im übrigen Bundesgebiet. Ein Grund dafür sei unsere Binnenlage, fernab von Meeren. Dadurch werde der Überfluss an Grund- und Regenwasser in unserer Region keine Selbstverständlichkeit bleiben. Ein wichtiger Faktor, um dies zu verhindern, sei der Verdunstungskreislauf durch den Wald, mit seinem ausgleichenden Effekt. Bisher habe dieser Kreislauf recht gut funktioniert, obwohl wir nicht sehr pfleglich mit unseren Wäldern umgegangen seien, meinte Pertl. Es sei aber vorherzusehen, das werde nicht so bleiben.

Nur wenn der Boden intakt sei, könne der Wald diese Funktion als wichtiger Wasserspeicher in ausreichendem Maße wahrnehmen. Um auch bei Hitzewellen genügend Wasser zur Verfügung zu haben und das Wachstum des Waldes zu gewährleisten, bedürfe es einer bestimmten Bodenbeschaffenheit, denn nur bei Wachstum sonderten Bäume Terpene ab, die als Kristallisationspunkte für Regentropfen dienten. Ansonsten würde Wasser nutzlos verdunsten und nicht mehr zu Wolken- und Regenbildung in der Region führen. Deshalb müsse in Zukunft größtes Augenmerk auf den Wasserhaushalt im Waldbau gelegt werden.

Die Fähigkeit zur Wasserspeicherung hänge zum einen vom Standort und zum anderen vom Grad der Durchwurzelung mit Feinwurzeln und der Dichte an Regenwürmern im Boden ab, sagte Pertl. Feinwurzeln bereiteten den Boden für die Regenwürmer auf und diese machten mit ihrer Porenbildung daraus einen saugfähigen Schwamm und sorgten so für den so wichtigen Wasserrückhalt und die damit verbundene Nährstofferschließung.

In seinen weiteren Ausführungen ging Pertl auf die für eine solche Bodenbeschaffenheit geeigneten und vom Regenwurm bevorzugten Baumarten ein. Hervorragend würden dabei fein- und tiefwurzelnde Laubbäume, wie Ahorn, Esche, Ulme, Linde, Erle, Eberesche, Wildkirsche, oder Elsbeere abschneiden. Unter den Nadelbäumen eigne sich die flachwurzelnde Fichte, die schon jetzt mit der steigenden Trockenheit zu kämpfen habe am wenigsten. Etwas besser geeignet sei die Tanne. Eine Patentlösung könne es aber nicht geben, denn sehr viel hänge auch vom Standort ab.

In der dem Vortrag folgenden Diskussion wurden vor allem Fragen nach der Wirtschaftlichkeit eines für den Klimawandel tauglichen Waldes laut. Pertl meinte dazu, um unsere Wälder in stabile Dauerwälder, oder gar „Klimaschutzwälder“ umzubauen, gebe es keine Patentlösungen. Generell könne gelten, es bedürfe mindestens eines Anteils von 20% an Edellaubhölzern in Mischung mit Buche, Tanne und Fichte um eine geeignete Regenwurmdichte und einen guten, stabilen Bodenzustand zu erreichen.

Bei der Waldbegehung am nächsten Tag inspizierten die Teilnehmer drei Standorte. Der erste Ort der Inspektionen, mit einer Mischung aus Buche, Tanne und Fichte zeigte kein gutes Resultat. Die Oberschicht aus modrigem Laub schien keine gute Nahrungsgrundlage für Regenwürmer und auch die Durchwurzelung mit Feinwurzeln schien nicht ideal. Noch schlechter war das Ergebnis am zweiten Grabungsort, der überwiegend mit Fichten bewachsen war. Der torfähnliche saure Moder sei vom Optimalzustand weit entfernt und für zukünftige klimatische Herausforderungen ungeeignet, sagte Pertl. Als bester erwies sich der dritte Standort, mit einer Mischung aus Ahorn, Pappeln und Fichten. Der feinkrümelige, dunkle Humus lasse den Regenwurm gedeihen und sei gleichzeitig fähig, kurzfristig große Mengen an Starkregen aufzunehmen und zu speichern. Das ergebe zudem einen guten Rückhaltefaktor für Nährstoffe, meinte Pertl.


Kein gutes Beispiel für die Bodenbeschaffenheit eines Klimaschutzwaldes sei dieses modrige Laub, sagte Ludwig Pertl bei der Waldbegehung. Eine höhere Regenwurmdichte im Boden wird mit mindestens 20% Edellaubhölzern im Mischwald erzielt, Bild von Alois Albrecht.

Ein großes Problem sah Pertl in der kurzfristig mangelnden Wirtschaftlichkeit eines dauerhaften und gesunden Klimaschutzwaldes. Langfristig überwiege aber zweifellos der Nutzen eines solchen Waldes für das Gemeinwohl. Insbesondere sei deshalb die Politik gefordert die Weichen zu stellen, um einen vielseitig und stabil aufgebauten Wald zu erreichen, der sowohl seine Aufgabe als Klimaschützer und auch als Nutzwald erfüllen könne.

Ein Bericht von Alois Albrecht (Südostbayerische Rundschau vom 12.06.2018). 

Eingangsbild: An drei Grabungsstandorten bei Wonneberg mit unterschiedlichem Baumbestand verglichen die Exkursionsteilnehmer den Grad der Durchwurzelung mit Feinwurzeln und den Regenwurmgehalt, Bild von Alois Albrecht.

Baumpflanzungen zum Tag des Baumes

Im Rahmen des Projekts „Baum des Jahres“ der Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE) Waginger See – Rupertiwinkel pflanzt jede Gemeinde öffentlichkeitswirksam z.B. gemeinsam mit den Grundschul- oder Kindergartenkindern zum „Tag des Baumes“ einen „Baum des Jahres“.

Baumpaten leisten wertvolle Pflegearbeiten

Die Erziehung und Pflege von Streuobstbäumen macht Arbeit, aber auch sehr viel Freude – das verdeutlichte Annette Bobenstetter aus Waging bei einem gut besuchten Treffen der Gruppe „Streuobst und Artenschutz“ der Ökomodellregion im Ottinger Oberwirt. Die Streuobstwiese in Ebing mit vierzig Hochstämmen, von der Gemeinde Waging im Jahr 2015 als Ökokontofläche angelegt, dürfte wohl die größte Obstwiese in der Region sein, die von Baumpaten ehrenamtlich betreut wird – eine Win-win-Situation für beide Seiten, wie Bobenstetter erläuterte: Denn die Gemeinde spart sich viel Pflegeaufwand und stellt eine vorbildliche Bewirtschaftung dieser Fläche sicher; die Baumpaten hegen und pflegen „ihre“ Wiese mit Begeisterung und sehen den ersten größeren Obsterträgen erwartungsvoll entgegen. Voraussetzung für die Pflege eines Obstangers in dieser Größe ist Fachwissen, wie es Annette Bobenstetter aus ihrer obstbaugeprägten schwäbischen Heimat mitgebracht hat, und die Bereitschaft, sich über Jahre hinweg um die Betreuung ihrer „Sprößlinge“ verlässlich zu kümmern – deshalb haben die Baumpaten die Sorten selbst ausgesucht oder nehmen gemeinsam an Schnittkursen teil. Während Apfelbäume, Birnen und Zwetschgen in Ebing hervorragend gedeihen, ist für Süßkirschen der Boden eher zu schwer, wie Bobenstetter anfügte.

Das Ehepaar Bobenstetter hat einen Kreis von Mit-Paten organisiert, der für die regelmäßigen Pflegearbeiten bereitsteht, vom Erziehungsschnitt bis zum gemeinsamen Gießen oder dem Ausmähen mit der Sense. Zwischen den Baumreihen mäht ein Landwirt per Traktor, den die Gemeinde damit beauftragt. Weitere Baumpaten aus der Ökomodellregion haben mit privaten Grundstücksbesitzern ähnliche Absprachen getroffen und dürfen sich so über eine Obstwiese freuen, die sie fast wie ihre eigene bewirtschaften können, während der Besitzer von Arbeit entlastet wird. Interessierte Obstwiesenbesitzer oder -paten dürfen sich weiter bei der Ökomodellregion melden.

Die Doppelnutzung eines Streuobstangers sei in Oberbayern auf Obstbaumbestand mit Wiese oder Weide beschränkt, so eröffnete Landschaftsplaner Carsten Voigt seinen Vortrag über den ökologischen Wert von Streuobstwiesen, während es z.B. in Franken auch Äcker mit Obstbäumen gebe. In seinem Abriss zur Entwicklung der Kulturlandschaft zeigte er anhand zahlreicher Beispiele, wie positiv sich eine kleinbäuerliche Bewirtschaftung mit mosaikartigen abwechslungsreichen Strukturen auf die ökologische Vielfalt auswirkt. Ein vielfältiges ökologisches Netz zu erhalten, sei nicht nur eine ethische Frage für den Menschen, sondern ermögliche ein großes Anpassungspotential z.B. bei Klimaveränderungen, sowie Ressourcen für medizinische Zwecke. Der größte Artenreichtum war im 19. Jahrhundert zu beobachten, während heute über die Hälfte aller 570 heimischen Wildbienenarten und sogar mehr als drei Viertel aller heimischen Tagfalterarten akut vom Aussterben bedroht sei. Die Züchtung früherer Kultursorten nahm einen Aufschwung, als Obst mit der Eisenbahn in die aufstrebenden Städte transportiert werden konnte, so entstand z.B. der Sonnenwirtsapfel als einer von damals über 1000 Kultursorten. Von den unzähligen früheren Lokalsorten sind z.B. die Ananasrenette oder der Waginger Kalvill (ein später Lagerapfel) übrig geblieben und werden heute wieder gepflanzt.

Alte Sorten schmecken oft eigenwilliger als heutige Sorten, man muss ihren unterschiedlichen Verwendungszweck kennen, um sie optimal nutzen zu können. Sie enthalten einen höheren Grad an Polyphenolen, das sind Bitterstoffe, die zur Abwehr der Pflanze gegen Krankheiten beitragen, aber auch der menschlichen Gesundheit nützen; manche alten Sorten werden von Apfelallergikern besser vertragen. Je größer der Obstanger, desto wertvoller wird er für viele Tierarten, das machte Voigt am Beispiel tierischer Bewohner deutlich, die Rinde, Stamm oder Blattwerk als Unterschlupf nutzen, wie Fledermäuse, Siebenschläfer oder der Buntspecht.

Für den Wert der Honigbiene entwickeln wieder mehr Menschen ein Bewusstsein; die Bestäubungsleistung von Wildbienen und Hummeln, gerade bei Wind oder kühleren Temperaturen, werde immer noch unterschätzt. Ganz wichtig sei es, im Obstanger auch Totholz zu belassen. Im Zusammenspiel mit einer extensiv bewirtschafteten Wiese oder Weide gebe es kaum einen Lebensraum, so Voigt, der artenreicher sei als ein Streuobstanger – von bis zu 70 Tagfaltern und 200 Nachtfaltern, von Bockkäfern bis zu einer enormen Biomasse an Spinnen, die wiederum als Futter für Grünspecht oder Gartenrotschwanz dienen, von Ameise bis Wildhase. Beispielsweise sei der Ameisenbläuling, ein inzwischen sehr seltener Tagfalter, in seiner Entwicklung von einer bestimmten Ameisenart und vom großen Wiesenknopf, einer Pflanze extensiv genutzter Wiesen, gleichzeitig abhängig – ein Streuobstanger ist dafür der ideale Lebensraum. Für einen Großteil der 24 bayerischen Fledermausarten dient ein Streuobstanger nicht nur als Nahrungsrevier oder Sommerquartier, sondern auch als wichtiger Strukturpunkt zur Orientierung in der Landschaft.

Anschließend informierte Voigt noch über die Förderkriterien für Neupflanzungen. Viele der jetzigen Obstanger sind älter als 60 Jahre, d.h. wenn jetzt nicht nachgepflanzt wird und diese verjüngt werden, gehen noch mehr Streuobstanger in der Zukunft verloren. Interessenten können sich für die nächste Herbstpflanzung ab acht Stück bis Mai in der Ökomodellregion (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder 08681/ 4005-37) oder beim LPV Traunstein melden. Anhand einer Übersichtskarte stellte Voigt die ca. 60 neuen Obstanger auf der Traunsteiner Seite der Ökomodellregion vor, die seit 2015 in Zusammenarbeit mit dem Landschaftspflegeverband angelegt wurden.

Dass das Tätigkeitsfeld der Arbeitsgruppe über Streuobst hinausgeht, bewies die rege Diskussion im Anschluss. Georg Blank, Erwerbsobstbauer aus Molbaum, hat umfangreiche Erfahrungen mit heimischen Sorten und appellierte, auf die Resistenz z.B. gegen Schorf zu achten. Alle zehn Gemeinden der Ökomodellregion haben sich verpflichtet, auf den kommunalen Flächen nicht nur auf Glyphosat, sondern generell auf Pestizide zu verzichten, erinnerte Sprecherin Beate Rutkowski. Dieser Beschluss solle durch einen Eintrag in das Netzwerk pestizidfreier Gemeinden bekanntgemacht werden, schlug sie vor. Pestizidfreiheit auf kommunalen Flächen allein sei aber zu wenig, so Teilnehmer Heini Thaler aus Otting. Um auch die Gartenbesitzer über die drängende Notwendigkeit einer ökologischen Bewirtschaftung im Sinne der Artenvielfalt aufzuklären, einigten sich die Teilnehmer auf einen Vortrag vor Beginn der Gartensaison. Einige Vertreter der Bauhöfe haben sich zum Thema „Unkrautbekämpfung ohne Pestizide“ längst fortgebildet, das Thema solle in der Ökomodellregion aber intensiviert werden. Parallel dazu sollen die Bürger informiert werden, dass Gras in den Fugen nichts mit schlampiger Bewirtschaftung zu tun hat, sondern der Beitrag der Gemeinde zum Verzicht auf Spritzmittel ist, was in den Köpfen vieler Bürger noch nicht angekommen sei, so Thaler.  Im Zusammenhang mit einer Veranstaltung zum Thema Grünlandbewirtschaftung sei vorgesehen, das Thema „Verzicht auf Glyphosat bei Neuansaat von Wiesen“ auch für Landwirte fachlich abzuhandeln, so Projektmanagerin Marlene Berger-Stöckl. Hartl Strasser, zweiter Sprecher der Arbeitsgruppe, wünscht sich dabei ergänzende Informationen zur Rinderfütterung, denn aus seiner Sicht sollten ergänzende Futtermittel auf die bestehende Grünlandbewirtschaftung abgestimmt werden und nicht umgekehrt.

Unverzichtbar seien die Landwirte, wenn es darum gehe, praktische Beispiele für das Projekt „Vernetzung von Lebensräumen“ zu schaffen, wie es schon von Beginn an in der Arbeitsgruppe vorgeschlagen worden sei, ergänzte Rutkowski thematisch, sei es durch eine Pflanzung von Hecken, durch extensiv bewirtschaftete Flecken oder einfach nur durch die Anlage eines Totholzhaufens – jeder habe dazu die Möglichkeit und man solle das Thema ab sofort bewerben. Es sei nach den Vorarbeiten gemeinsam mit der ILE-Initiative Zeit für eine praktische Umsetzung. Hans Glück erinnerte an die weiteren kommunalen Beschlüsse und schlug vor, in jedem Gemeinde- oder Stadtrat und in jeder Verwaltung einen Zuständigen zu ernennen, der sich aktiv um die Umsetzung dieser Beschlüsse kümmere.

Ein Bericht von Hans Eder (gekürzt erschienen in der Südostbayerischen Rundschau vom 16.12.2017).

Eingangsbild: Baumpatin Annette Bobenstetter (rechts) auf dem Obstanger in Ebing, Bild von Hans Eder.

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