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Biosammelzertifizierung für Streuobstwiesen

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Die Ökomodellregion „Waginger See -Rupertiwinkel“,  zu der sich sieben Gemeinden im Kreis Traunstein 2014 zusammengeschlossen haben, hat mit dem Landschaftspflegeverband (LPV) Traunstein erfolgreich ein neues Projekt gestartet: Streuobstwiesen und Obstgärten erhalten  jetzt ihre Bio-Sammelzertifizierung. Die drei angrenzenden Gemeinden im benachbarten Berchtesgadener Land, die ebenfalls zur Öko-Modellregion gehören, wollen in den kommenden Jahren nachziehen.

„Das ist ein schöner Erfolg für die Besitzer der Obstgärten, aber auch für den Ausbau der Bio-Vermarktung, der Wertschöpfung in der Region und für den Erhalt der biologischen Vielfalt“, freuen sich Marlene Berger-Stöckl von der Ökomodellregion und Jürgen Sandner, Geschäftsführer des Landschaftspflegeverbandes. Der LPV kümmert sich um die Abwicklung der Zertifizierung und setzt dabei die guten Erfahrungen des Landschafts-pflegeverbandes Passau um.

In der Ökomodellregion, aber auch in den Gemeinden Übersee, Vachendorf, Chieming, Surberg und Ruhpolding gibt es aktuell 13 biozertifizierte Streuobstwiesen mit einer geschätzten Menge von insgesamt 27 Tonnen Früchten.

Die erste Zwischenbilanz ist beachtlich: Insgesamt 546 Bäume wurden erfasst: 333 Apfelbäume, 60 Birnen, 94 Zwetschgen, 14 Süßkirschen, 17 Sauerkirschen, 119 Walnussbäume, 3 Quitten, 3 Aprikosen, 2 Pfirsiche und eine Mährische Eberesche.

Seit 2002 hat der LPV im Kreis Traunstein außerdem über 8000 Hochstamm-Obstbäume gepflanzt; im Gebiet der Öko-Modell-Region waren es auf Traunsteiner Seite 729 seit 2014 und damit überdurchschnittlich viele. Nicht mitgezählt sind Pflanzungen, die nicht über den LPV gefördert wurden, Pflanzungen unter acht Stück, in privaten Gärten oder Pflanzungen in den drei Nachbargemeinden Teisendorf, Saaldorf-Surheim und Laufen, die ebenfalls zur Ökomodellregion, aber zum Landkreis Berchtesgadener Land gehören.


Gregor Greimel, Inhaber der Kelterei Greimel in Laufen und Most-Sommelier, hofft auf eine reiche Ernte an Obst mit Bio-Zertifikat aus der Region, Bild von Ernst Deubelli. 

Die Bio-Sammelzertifizierung hat noch weitere Vorteile. Nicht jeder einzelne Obstgartenbesitzer muss sich um das Biozertifikat kümmern, die Abwicklung der notwendigen Formalitäten mit der Bio-Kontrollstelle übernimmt der LPV. Mitmachen können Landwirte, die für ihren Betrieb kein Bio-Zertifikat haben, private Eigentümer von Streuobstwiesen, Kirchenstiftungen oder auch Kommunen. Wichtige Kriterien: Die Bäume dürfen in den vergangenen Jahren weder mit Spritzmitteln behandelt noch mit Mineraldünger aufgepeppt worden sein. Für die Streuobstwiesenbesitzer ist die Aktion kostenfrei und das Bio-Zertifikat gilt ab sofort.

Das heißt, Obst von den zertifizierten Obstgärten und Streuobstwiesen kann bereits heuer zum Preis für Bio-Obst an die Keltereien vermarktet werden. Der liegt heuer bei 20 Euro für den Doppelzentner Äpfel. Für Äpfel ohne Bio-Zertifikat gibt es voraussichtlich nur 12 Euro für den Doppelzentner und für den Doppelzentner Birnen rund 10 Euro, taxiert Gregor Greimel, der in dritter Generation die gleichnamige Kelterei in Laufen betreibt.

Wenn heuer genügend Obst mit Bio-Zertifikat angeliefert wird, könne es schon heuer Bio-Säfte aus der Ökomodellregion und sogar Bio-Most geben. Greimel, der in seiner Kelterei fünf feste Mitarbeiter beschäftigt, hat in Linz vor zehn Jahren die Zusatz-Ausbildung zum Most-Sommelier gemacht und hat das einst weitum beliebte Getränk im Sortiment – als Apfelwein, als bayerischen Most aus Äpfeln und Birnen, oder wenn es genügend Früchte gibt, auch als Birnenmost  – zusätzlich zu 29 verschiedenen Säften.

Marlene Berger-Stöckl denkt bereits weiter. Vor drei Jahren kam die Ökomodellregion erfolgreich mit Bio-Braugerste aus regionalem Anbau auf den Markt. Mittlerweile hat sich auch ein wachsendes Bio-Wirte-Netzwerk etabliert, das nicht nur für eine potenzielle Abnahme der Säfte aus regionalem Obst in Bio-Qualität, sondern auch von Bio-Most in Frage kommt. Warum sollte man nicht ähnlich, wie in Oberösterreich, im ehemals bairischen Innviertel, üblich und beliebt, auch in den Gaststätten der Region Most ausschenken?

Um den Absatz der Obsternte aus den zertifizierten Streuobstwiesen und -gärten ist Marlene Berger-Stöckl und Jürgen Sandner nicht bang. Die Nachfrage in der Region ist seit Jahren weitaus größer als das Angebot. Die Hauptabnehmer sind die Keltereien Greimel in Laufen, Pölz in Garching, Stöger Süßmosterei in Übersee und die ORO Obstverwertungsgenossenschaft in Rohrdorf im Landkreis Rosenheim. Pölz in Garching und ORO in Rosenheim bieten überdies ihren Vertragslieferanten Hilfestellung und Übernahme der Kosten bei der Bio-Zertifizierung.

Mit den biologisch bewirtschafteten Streuobstwiesen und Obstgärten gelinge ein sonst kaum geglaubter Dreisatz aus Landwirtschaft, kommerzieller Nutzung und Naturschutz, sagt Jürgen Sandner. „Nutz und Schutz“, bringt es Marlene Berger-Stöckl auf den Punkt. Denn die Obstwiesen bieten nicht nur vielen Insekten und Vögeln einen Lebensraum, sondern begünstigen auch die Imker und die Honigproduktion. Langfristig betrachtet, bieten gepflegte Obstbäume auch wertvolles Holz für Schreiner und Instrumentenbauer. Kräftige Obsthölzer erzielen jedes Jahr in der Wertholzsubmission in Waging gute Preise.

Sogar ein sozialer Nutzen ist möglich. Wie das geht, erklärt Bürgermeister Hans-Jörg Birner aus der Gemeinde Kirchanschöring, zugleich Sprecher der Ökomodellregion. Dort hat die Gemeinde in der Dorfmitte den sogenannten Lapperanger und noch eine weitere Streuobstwiese gepachtet, die heuer über den LPV biozertifiziert wurden.  Die Bäume werden von den Jugendgruppen der beiden Feuerwehren im Dorf abgeerntet und das Obst zur Kelterei Greimel gebracht. Der Erlös kommt der Jugendarbeit in der Wehr zugute.


Kichanschörings Bürgermeister Hans-Jörg Birner auf der Streuobstwiese auf dem Lapperanger in der Dorfmitte zeigt auf einen Baum mit abgestorbenem Ast. Auch dieser alte Baum hat seine Lebensberechtigung. Er trägt noch reichlich Obst und sichert Leben für Insekten und Vögel, Bild von Ernst Deubelli. 

Auch das Gras auf dem Lapperanger mit seinen 51 Bäumen, jungen und alten, wird nur selten gemäht, um selten gewordenen Wiesenkräutern und Blumen, Insekten und Vögeln einen Lebensraum zu geben. „Wir haben hier zwei Schutzräume“, sagt Jürgen Sandner, „den Boden und die Bäume.“  Aus diesem Grund bleiben auch verdorrte Äste und Stämme länger erhalten, als in Nutzplantagen. Im scheinbaren Totholz leben Insekten und die wiederum bieten Nahrungsgrundlage für Vögel.

Dass an den Lapperanger außerdem noch der Kindergarten, die Schule und das Rathaus angrenzen, ist für Hans-Jörg Birner ein glücklicher Umstand. Die Streuobstwiese steht so im Mittelpunkt der dörflichen Lebensgemeinschaft.

Ökomodellregion und Landschaftspflegeverband wollen sich nicht nur mit dem Erhalt der bestehenden Streuobstwiesen und Gärten zufriedengeben, sondern werben für Erweiterung und Anlage neuer Gärten. Das aktuelle Ziel ist die Pflanzung von 1500 jungen Streuobstbäumen, vor allem regionaltypische Sorten. Die Bäume stellt der Pflegeverband, die Streuobst- und Gartenbesitzer übernehmen die Pflanzung und die Pflege. Aber auch dabei steht der LPV mit Rat und Tat zur Seite.

„Außer Konkurrenz“ läuft außerdem ein Versuch der Regionalinitiative ILE (Integrierte ländliche Entwicklung) mit Maronen, die heuer von den gleichen sieben Gemeinden als „Baum des Jahres“ gepflanzt wurden.  Wenn das Klima weiter so warm bleibt, dann sollten auch die Esskastanien gedeihen.

Gut gediehen ist in jedem Fall das Projekt der Ökomodellregion Waginger See - Rupertiwinkel seit der Gründung im Jahr 2014. Das Ziel war, ausgegeben vom damaligen Landwirtschaftsminister Helmut Brunner, dass bis 2020 die ökologische Landwirtschaft sich verdoppeln solle. Im Gebiet der Modellregion ist das Ziel realistisch. Gab es zur Bewerbung im Jahr 2013 in den sieben Gemeinden Fridolfing, Kirchanschöring, Petting, Taching, Tittmoning, Waging und Wonneberg noch 51 Ökobetriebe (von 734 Betrieben gesamt) mit 1184 Hektar ökologisch bewirtschafteter Flächen, so waren es 2017 bereits 74 Ökobetriebe und 1664 Hektar ökologisch bewirtschafteter Flächen (von 727 Betrieben gesamt).  Auch in den drei Gemeinden Teisendorf, Saaldorf-Surheim und Laufen, die sich ebenfalls der Ökomodellregion angeschlossen haben, hat die Zahl der Ökobetriebe zugenommen. Die Zahl der Öko-Betriebe lag hier 2016 bei 51 (von 411 Betrieben gesamt), 2017 waren es 55 (von 403 Betrieben gesamt). 2018 sind in der gesamten Ökomodellregion nochmals 11 Biobetriebe dazu gekommen, sodass die Gesamtzahl der Ökobetriebe von ursprünglich 7 % der Betriebe auf ca. 12 % gestiegen ist.

Weitere Informationen zur Sammelzertifizierung und zur Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel im Internet:

www.oekomodellregionen.bayern sowie www.landschaftspflegeverband-traunstein.de

Über Annahmekonditionen und -zeiten von Obst aus der Region, ob konventionell oder mit Bio-Zertifikat, informieren die Keltereien auf ihrer jeweiligen Internetseite.

Eingangsbild: Rudolf Heinrich in Sauberg zwischen Tettenhausen und Petting (links) ist nicht nur stolz auf seine Streuobstwiesen, er schätzt mit seiner Familie auch das eigene Obst und nutzt das Angebot des Landschaftspflegeverbands (LPV) und der Ökomodellregion, um den Obstgarten zu erweitern und, wo notwendig, zu verjüngen. Gedüngt wird nur durch die Truthähne, die im Obstgarten weiden. Mit im Bild Jürgen Sandner vom LPV und Marlene Berger-Stöckl von der ÖMR, Bild von Ernst Deubelli. 

Ein Bericht von Ernst Deubelli (Südostbayerische Rundschau vom 18.08.2018).

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